Verfolgt und heimgesucht von Otto Dix
An Rätselhaftigkeit steht Aurélie de Heinzelin, die derzeit in Weil am Rhein ausstellt, ihrem großen Mentor in nichts nach.
Die Puppe, das Äffchen, der Totenschädel, der Hirschkopf, die verzerrt lachende Nonne – aus diesen Motiven inszeniert und arrangiert die junge Malerin Aurélie de Heinzelin Bilder, die den Betrachter in ihrer expressiven Wucht, provozierenden Abgründigkeit und von innen leuchtenden Farbigkeit überwältigen – in einer Mischung aus Staunen und Schrecken. Der Betrachter steht gebannt und rätselnd vor diesen Ölgemälden, Pastellen und Tusche- und Kohlezeichnungen der französischen Künstlerin. Sind es ins Groteske gesteigerte Totentänze, sind es Dinge, die ein seltsames Eigenleben bekommen?
"Natures mortes, Vivantes" betitelt die in Straßburg lebende Malerin ihre Einzelausstellung im Kunstverein Weil am Rhein in der städtischen Galerie Stapflehus. In ihren Bildern bezieht sich Aurélie de Heinzelin explizit auf den schonungslos-kritischen Realisten Otto Dix. Während eines Stipendiums in Stuttgart hat sie sich intensiv mit dem Leben und den Bildern des Malers auseinandergesetzt, der so drastisch die Schrecken des Krieges, die Abgründe der menschlichen Existenz vor Augen führte. Dieses Panoptikum des Grauens, die stete Präsenz des Todes erscheint auf verwandelte und verfremdete Art auch in den Bildern und Stillleben de Heinzelins. Kraftvoll und expressiv ist ihre Bildersprache, vehement ihr Duktus und schonungslos die Darstellung der Figuren. Die Straßburger Malerin mischt sich, wie es Nikolaus Cybinski in seiner Einführung interpretiert, in das Leben von Dix. "Ich niste mich bei ihm ein. Ich kämpfe mit seiner Frau Martha", zitiert er die Künstlerin, die sich nach eigenen Angaben verfolgt und heimgesucht fühlt von Dix' Bildern.
Mehrfach tauchen in ihren Werken Figuren aus Dix' Leben und Werk auf, etwa Frau Martha oder die kleine Tochter Nelly, die er selbst mit Puppe oder in Blumen dargestellt hat. De Heinzelins Puppenbilder haben so gar nichts Niedliches und Argloses an sich, vielmehr kommen sie wie Variationen von "Der Tod und das Mädchen" oder "Der Tod und die Puppe" daher. Auf dem Kopf der Puppe sitzt ein Totenschädel, aus dem ein Blumenstrauß ragt – das hat schon surreal-fantastische Züge. Die Nature morte-Arrangements mit Puppe und Hirschkopf verraten auch diese latente Todessymbolik und eine eigene Bildmystik.
Auch die große Wand mit Zeichnungen spielender Kindern – ebenfalls Verweis auf ein Dix-Motiv – und seltsamen Puppenspielen lässt den Betrachter schauern. Sind es Puppen, sind es Menschen? Manchmal scheinen die Grenzen zu verschwimmen in de Heinzelins Figurenbildern, in denen sich ein metaphernreicher Tanz mit Tod, Puppe und Eros abspielt. Einmal verwandelt sie Nelly in eine Bulldogge mit gefletschten Zähnen, Schleife und roter Haartolle – ein bildgewordener Alptraum.
"Nonne et Otto Dix" nennt sie eine andere, nicht minder verstörende Bilderreihe. Der aufgerissene Mund und die skelettartigen Klauen der Nonne haben etwas Bedrohliches. Ob sich hinter der Nonne, die sich über das gestisch aufgeladene Dix-Porträt erhebt, die Malerin selbst verbirgt? Bedrohlich wirkt auch das Großformat "La Table" im Parterre, in dem eine nackte, ausgemergelte Frau auf einem Tisch tanzend die Pinsel schwingt, als ginge es zum großen Schlachten, und aus einem Kürbis eine Hand nach ihrem Bein greift. Auch in der Familienszene am Tisch lauert ein unterschwelliges Grauen: Es sieht aus, als würde die Mutter, die mit den Kindern am Tisch vor einem riesigen Kürbis sitzt, die Messer wetzen – das Leben als Schlachtfeld.
Die Malerin, die sich so exzessiv, ja obsessiv mit Dix befasst hat und so tief in dessen beunruhigende Seelenwelt eingetaucht ist, malt und zeichnet mit unerbittlicher Vehemenz und aggressiver Schärfe. Schonungslos wie Dix. Auch mit ähnlicher grotesker und makabrer Zuspitzung. Leicht machen es einem diese gleichsam verstörenden und faszinierenden Bilder nicht. Aber es lohnt sich, sich auf sie einzulassen. Denn Aurélie de Heinzelin ist eine bemerkenswerte junge Malerin, deren Bilder den Betrachter herausfordern.
– Bis 14. Oktober, Samstag 15 bis 18, Sonn- und Feiertag 14 bis 18 Uhr.